Auf Kosten der Ukraine: Das bittere Leid der sozialdemokratischen Edel-Pazifisten
- rrohstoff
- 11. März 2024
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 15. Apr. 2024
So genervt, gereizt, verärgert hat man den Kanzler selten gesehen. "Peinlich", ja geradezu "lächerlich" sei die nicht enden wollende Debatte um die Weigerung der Bundesregierung, der Ukraine deutsche Taurus-Marschflugkörper zu liefern, empörte sich Olaf Scholz in einer für ihn ungewöhnlich energischen Wortwahl. Scholz weiß dabei nicht nur die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich, sondern auch den pazifistischen Flügel seiner Partei, für den auch Fraktionschef Rolf Mützenich steht.
Mützenich hatte die Debatte befeuert, indem er in der Bundestagsrede ein "Einfrieren" des Ukraine-Konflikts empfahl. Das blieb zwar hinter dem Vorschlag von Papst Franziskus zurück, es sei wahrhaft mutig, die "Weiße Fahne" zu hissen, wenn der Krieg verloren sei - eine indirekte Aufforderung zur Kapitulation an die Adresse Kiews. Aber allen Beobachtern ist klar, dass ein "Einfrieren" des Konflikts allein der Seite des russischen Angreifers nützen würde. Schon 2014, nach der Annexion der Krim, hatte der Westen versucht, den Konflikt einzufrieren. Das Ergebnis ist bekannt.
Was Scholz umtreibt, ist offenbar das Streben, aus der ständigen Defensive herauszukommen, frei nach dem Motto Angriff ist die beste Verteidigung. Und die Bundesregierung ist unter ständigem Beschuss. Nicht zuletzt wegen der Blamage um das abgehörte Gespräch von Luftwaffengenerälen über den Taurus-Einsatz. Dies hat den befreundeten Nato-Partnern einmal mehr gezeigt: Auf die Deutschen und die kriegseinsatzunfähige Bundeswehr, bei der Geheimhaltung offenbar ein Fremdwort ist, ist kein Verlass.
Dort ist man den sozialdemokratischen Edel-Pazifismus leid. Tatsächlich haben die Deutschen bisher bei jeder Waffenlieferung, bei Gewehren, Boden-Luft-Raketen, Schützenpanzern, Haubitzen-2000, Flakpanzern, Patriot, Leopard versucht, sich hinter dem Rücken der anderen, vor allem dem von Joe Biden, zu verstecken. Der Leopard wurde erst geliefert, nachdem die Amerikaner bereit waren, ihrerseits ihre hochgezüchteten Abrams-Panzer zu liefern. Was für ein Schauspiel: Die Nato-Partner verbiegen sich aufs äußerte, nur um die zarten Seelen der Sozialdemokraten, von Ralf Stegner über Mützenich und Kevin Kühnert bis hin zum Kanzler selbst, nicht zu verletzten. So wurde von den Briten ein Ringtausch mit den Taurus ins Gespräch gebracht, der Scholz erlaubt hätte, das Gesicht zu wahren.
„Putin darf diesen Krieg nicht gewinnen“ - Olaf Scholz hat diesem häufig vorgetragenen Mantra nicht die notwendigen Taten folgen lassen. Angeblich ging es darum, dass ein Taurus-Einsatz nicht ohne deutsche Experten erfolgen kann. Offenbar eine Notlüge. Jetzt geht es darum, dass angeblich ein Taurus-Einsatz auf russischem Gebiet droht. Dann, so die Unterstellung, würde Deutschland zur Kriegspartei. Droht also, falls Putin die Ukraine besiegt, ein Durchmarsch bis nach Berlin? Droht dann der Einsatz russischer Atomwaffen auf die Ukraine, und anschließend auch auf Deutschland? Wir wissen nicht, ob Wladimir Putin in den persönlichen Treffen und Telefonaten dem Kanzler genau das angedroht hat. Die Amerikaner haben offenbar selbst vermutet, dass Putin den Einsatz taktischer Atomwaffen anordnen wird, falls die Ukrainer einen Durchbruch auf russisches Territorium schaffen. Was im Herbst 2023 noch möglich erschien. Heute aber steht die Ukraine, die ohne die versprochenen Munitionslieferungen aus dem Westen nackt dasteht, am Rande einer Niederlage. Hunderttausende wären dann umsonst gestorben.
Wir wissen, dass es ähnliche Drohungen in Richtung der neuen Nato-Partner Finnland und Schweden gibt, gegen die baltischen Staaten und Polen, gegen alle, die der Ukraine massiv helfen. In dieser Logik müsste eigentlich Dänemark Putins Angriffsziel Nr.1 sein, denn das kleine Land hat fast seinen kompletten Munitionsbestand der Ukraine gespendet. Eine radikale Geste, die meilenweit entfernt ist von den immer neuen Ausreden der Deutschen, wenn es darum geht, aus vorhandenen Beständen mehr zu liefern.
Der pazifistische Gesinnung hat in der SPD Tradition. Die Sozialdemokraten stimmten in den 50er Jahren gegen die "Wiederbewaffnung", Gustav Heinemann, damals noch CDU-Innenminister, später SPD-Bundespräsident, trat 1950 aus Protest gegen die Bundeswehr-Pläne von Konrad Adenauer zurück. Angeführt von Martin Niemöller sowie den Physikern Otto Hahn, Max Born und Werner Heisenberg trat die Paulskirchenbewegung vehement gegen die Atomwaffenpläne eines Franz-Josef Strauss auf. Von Egon Bahr wurde die Entspannungspolitik entwickelt, die Umkehr einer platten Waffen-und Kriegsdrohung, die eine Annäherung ermöglichte und den Boden für den Grundlagenvertrag mit der DDR und später für die KSZE-Schlussakte von Helsinki ermöglichte.
Aus dem linken SPD-Lager kam der Widerstand gegen Helmut Schmidts Nato-Doppelbeschluss, gegen die US-Atomwaffenlager in Westdeutschland - es war die Zeit, als an den Universitäten kommunistische, trotzkistische, maoistische Gruppierungen das Sagen hatten. Die Linie lässt sich fortsetzen bis zur linken DL21-Gruppierung um Kevin Kühnert, die 2022 vehement gegen das 100-Milliarden-Sondervermögen und die Zeitenwende gearbeitet hat.
Und zum SPD-Bewusstsein gehört auch die Weigerung von Gerhard und Joschka Fischer von 2003, an der Seite der Amerikaner auf der Jagd nach Saddam Hussein in den Irak einzumarschieren. "I am not convinced", waren die Worte, die der Grüne Fischer auf der Münchener Sicherheitskonferenz US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld entgegenhielt. An diese historische Leistung, dem internationalen und vor dem amerikanischen Druck standzuhalten, möchte Olaf Scholz unbedingt anknüpfen.
Fakt ist, dass wir heute wissen, was ein russischer Sieg im kalten Krieg bedeutet hätte. „Lieber Rot als tot“, skandierten die Spät-68er in den 70er Jahren - in weitgehender, selbst verschuldeter Unkenntnis, was "Rot" bedeutet hätte. Man ahnte, dass Deutschland zum Schlachtfeld zwischen Ost und West werden könnte, dass in der BDR und in der DDR ein großes Arsenal an Atomwaffen lagerte. Die Edel-Pazifisten von damals sahen den Feind in den US-Bombern, die ihre Fracht über Vietnam und Laos abwarfen. Wir wussten wenig über das Rot in der DDR: Das geheime Heer der 150000 Stasi-Spitzel, die politischen Prozesse, die Hinrichtungen von Klassenfeinden, die Berufs- und Studienverbote.
Die Ukraine haben heute eine präzise Vorstellung, was "Rot wie Russisch" bedeutet. Zehntausende sind in den russisch besetzten Gebieten verschwunden, Kinder wurden nach Russland entführt, der russische Geheimdienst richtet hinter den Linien ein Terror-und Folterregime ein. Die Massaker von Butcha und Irpin sind gut dokumentiert. Es reiht sich Kriegsverbrechen an Kriegsverbrechen.
Wenn die Ukrainer diesen Horror abwenden wollen, müssen sie selbstverständlich auch in der Lage sein, russisches Gebiet zu attackieren: Versorgungslinien, Depots, Truppenteile, Tanklager, Flughäfen. Das ist die bittere Kriegslogik, gedeckt durch das Völkerrecht. Wer angegriffen wird, darf sich wehren, und das schließt das Territorium des Angreifers ein. Wer verhindern will, dass Putin diesen Krieg gewinnt, muss diese Logik akzeptieren und darf sich nicht hinter dem Rücken befreundeter Alliierter verstecken.
Es wird Zeit, dass die Sozialdemokraten die Zeitenwende endlich auch in ihren Köpfen vollziehen.
PS:
Unterdessen haben fünf SPD-nahe Wissenschaftler um den Historiker Heinrich August Winkler Scholz und die SPD-Spitze ebenfalls scharf kritisiert. Sie sprechen von einer hochgefährlichen "Realitätsverweigerung" im Kanzleramt, von mangelnder Abstimmung mit den Verbündeten, von einer romantisierenden Bezugnahme auf die Entspannungspolitik von Egon Bahr. Dies alles führe dazu, dass die Ukraine nicht die Hilfe bekomme, die sie benötige.
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